Irmgard Knechtges-Obrecht zu:
Robert Schumann - Neu zu entdecken
www.schumann-portal.de
Irmgard Knechtges-Obrecht
Einige der beliebtesten Klavierzyklen
Robert Schumanns aus früher wie später Klavierperiode
paart die Düsseldorfer Pianistin Angelika Nebel auf
vorliegender CD unter dem bezeichnenden Titel "Schumann
– neu zu entdecken" mit eher unbekannten, ungewöhnlichen
und noch nie eingespielten Werken. So erklingen neben
den Kinderszenen op. 15, der Arabeske op. 18, den
Fantasiestücken op. 111 und dem Zyklus Gesänge der Frühe
op. 133 die so genannten „Geister-Variationen“ von 1854
sowie die drei Balladen "Schön Hedwig" op. 106, "Ballade
vom Haideknaben" op. 122 Nr. 1 und "Die Flüchtlinge" op.
122 Nr. 2 in einer Fassung für Klavier alleine, also
ohne Deklamation. Die Düsseldorfer
Robert-Schumann-Forschungsstelle unserer RSG war bei
dieser ebenso eigenwilligen wie interessanten
Programmauswahl behilflich.
Eindrucksvoll lässt sich durch diese Zusammenstellung
das immer noch verbreitete Klischee von Schumann als dem
"realitätsfernen Träumer" und "Meister der kleinen Form"
entzerren, wie Michael Struck im sachkundigen,
umfangreichen und äußerst informativen Booklettext
darlegt. Auf verschiedene Weise vermag Angelika Nebel
mit ihrer Einspielung ein wesentlich differenzierteres
Bild des Komponisten zu zeichnen, das dem seiner
Zeitgenossen zweifellos eher gleicht, als jenem von der
Nachwelt entwickelten. So nähert sich Angelika Nebel in
den wohl bekannten und beliebten frühen Klavierwerken
Kinderszenen und Arabeske teilweise den von Schumann
autorisierten Metronomangaben der Erstausgaben, die in
der Regel von den Pianisten als fehlerhaft bezeichnet
und nicht umgesetzt werden. Die Stücke erklingen so in
ungewohnt schlankem Gewand, dessen perlend klares, fein
nuanciertes Klangbild überzeugt. Auch die Fantasiestücke
op. 111 von 1851 und die Gesänge der Frühe von 1853,
Schumanns letzter Zyklus mit Charakterstücken, werden
angemessen einfühlsam und mit beeindruckender
technischer Lebendigkeit interpretiert. Dem lyrischen,
oft verklärten Bereich wird die Pianistin ebenso gerecht
wie den wild-aufbrechenden Passagen. Gerade jene in den
fünf Stücken aus op. 133 aufflackernden transzendenten
Sphären im Ausdruck prägen entscheidend die Geschichte
der so genannten "Geister-Variationen". Schumann schrieb
sie im Februar 1854, als seine letzte, todbringende
Krankheit zum Ausbruch kam. Er glaubte, Engel oder der
Geist Franz Schuberts hätten ihm das Thema diktiert und
aufgetragen, Variationen darüber zu verfassen. Noch vor
seinem tragischen Sturz in den Rhein arbeitete er an der
Reinschrift seiner Variationenreihe, die anrührend
schlicht und doch so ergreifend daherkommt.
Neben diesen zum Teil ungewöhnlichen, vor allem aber
ungewöhnlich interpretierten Stücken fügt Angelika Nebel
ihrer CD eine weitere echte Rarität bei. Zwischen 1849
und 1853 komponierte Schumann drei Balladen für
Deklamation mit Klavierbegleitung, von denen "Schön
Hedwig" lyrisch-charaktervoll eine Liebesgeschichte im
Rittermilieu umsetzt, während die beiden anderen,
"Ballade vom Haideknaben" und "Die Flüchtlinge"
ausgesprochen grausige Sujets aufgreifen und in düsterer
Stimmung verharren. Die Erstausgaben dieser in der
Tradition der Melodramen-Komposition jener Zeit
gehaltenen Werke tragen interessanterweise den Vermerk,
dass man sie "auch ohne Declamation als selbstständiges
Clavierstück" ausführen könne. Eben in dieser Gestalt
erklingen die drei Balladen auf vorliegender CD als
Ersteinspielung. Keine leichte Aufgabe, der Angelika
Nebel sich da gestellt hat! Ohne den dazu gehörenden
Deklamationstext rückt zwar die Klavierstimme aus ihrer
reinen Begleitfunktion in den Vordergrund, gibt aber
doch an manchen Stellen alleine musikalisch nicht genug
her, um als eigenständiges Klavierstück wirken zu
können. Ohne Kenntnis der zu Grunde liegenden Dichtung
bleiben manche Bereiche eher unverständlich.
Insbesondere da, wo Akkorde über längere Zeit liegen
bleiben oder textbedingte Pausen für das Klavier
vorgeschrieben sind, ist die Vorstellungskraft des
Hörers gefordert. Gelingt diese Imagination, so dass man
sich völlig auf die Schönheiten und ausdrucksvollen
Eigenarten des Klavierparts konzentrieren kann, geraten
die meisten Passagen allerdings zu einen echten
Hörerlebnis. Gerade jetzt lassen sich viele interessante
Details wahrnehmen, die in der Version mit Deklamation
untergehen. Angelika Nebel stellt hiermit eine
überraschende Variante dieser – auch in ihrer
Originalfassung nur recht selten gespielten – Balladen
vor.
Eine CD, die wirklich jede Schumann-Sammlung bereichert,
und deren Anhören nicht zuletzt wegen des harmonisch
stimmigen Gesamteindrucks den reinsten Genuss bietet.