Apropos Musik
HR, 02.03.2003
Manfred Karallus
Wunderliches ist über diesen Soler an die Außenwelt gedrungen. Und je mehr man über ihn in Erfahrung bringt,
desto mehr festigt sich der Eindruck eines Zwitterwesens. So schildert der eine Klosterchronist ihn als einen
strengen, tugendhaften Untertan mit einer allerdings ausgeprägten Schwäche für die Nacht. "Padre Soler", so schreibt
er, "liebte seine Mönchszelle. Nie sah man ihn außerhalb der Zelle, wenn es nicht gerade der Gehorsam war, der ihn
zwang, sie zu verlassen. [...] Er schlief immer seht wenig, ging zu Bett nachts um zwölf oder eins und stand schon zwischen
vier und fünf in der Frühe auf, um eine Messe zu lesen".
Die moderne Forschung bringt, am Beispiel dieses Antonio Solers, freilich auch andere Wesenszüge zum Vorschein. Neue,
aus welchen Gründen auch immer unterdrückte Quellen sprechen eine neue Sprache. So wird Soler oft als ein gieriger
Mensch beschrieben, als ehrsüchtig und egoistisch, ambitiös, karriereversessen, viele hielten ihn für sarkastisch,
ausweichend und manipulativ im Umgang mit Menschen. Zu Weihnachten 1764 schenkte ihm der Herzog von Medina eine
sechs Pfund schwere Dose mit teurem Havanna. In seinem Dankesbrief schrieb Soler von der Wirkung des Tabaks: "Fünf
Stunden brachte ich damit zu, Geheimnisse an lustige Sonaten mitzuteilen."
Ich schicke Ihnen das vorweg, meine Damen und Herren, um in der rechten Weise eine CD zu würdigen, die solche Details
aus dem Leben des Padre Soler zwar nicht aufführt - es auch nicht nötig hat, sie aufzuführen -, und die aber doch etwas
vom nicht selten auch rauschhaften Wesen künstlerischer Kreativität wiedergeben, vor der alle technische Werkbetrachtung
versagt.
Padre Antonio Soler war nun eben nicht nur der gottesfürchtige Kirchendiener von El Escorial, als der er uns bis in jüngste
Zeit geschildert wurde. Er war auch ein bizarrer Mensch der bizarren Töne. Er war, wie er sich selbst, und vielleicht
nicht nur scherzhaft, nannte: "el diablo vestido de fraile": Der Teufel im Mönchsgewand.
Eine Musik der mitunter "gefährlichen Zwischentöne" also (und nicht nur des schönen iberischen Scheins): Wir hören Angelika
Nebel mit einer Auffassung des Soler'schen Klavierschaffens, die wie keine sonst diesen Bereich der Zwischentöne entdeckt hat,
ohne auch nur jemals ins Ungefähre abzugleiten, Gilbert Rowland und Alicia de Larrocha ausdrücklich mit eingeschlossen.
Gibt es für den Vortrag Domenico Scarlatti'scher Musik inzwischen recht zuverlässige Bilder, Vorbilder, so hätten
wir sie für Antonio Soler, wie mir scheint, erst jetzt, und zwar mit Angelika Nebel.
Angelika Nebel spielt die vierundzwanzigste jener weit über hundert Sonaten Antonio Solers. Soler machte an El
Escorial Karriere. Sein Name ist unlösbar mit dem dortigen Hieronymiten-Kloster verbunden, aus dem heraus sich ihm dann in
der Folge seines Lebens allmählich der Zugang zum Hof eröffnete. Die CD, meine Empfehlung für den heutigen Tag, ist bei
Amphion erschienen.