Manfred Karallus im Hessischen Rundfunk
ja, ... so spielt sich Haydn, - und was ist das doch für ein erfrischender Unterschied, an
Differenziertheit, und nicht nur Klarheit, an Lebendigkeit und nicht nur Kontrolle.
Als "Spezialistin des Besonderen" apostrophiert sie Hans-Klaus Jungheinrich im Textheft, und, in der
Tat, auch die vertrautesten Werke geht Angelika Nebel jedes Mal wieder neu an, es gibt bei ihr keine Festlegungen,
keine fix und fertigen Konzepte. Wir hören die ersten beiden Sätze der Klaviersonate e-Moll Hob.XVI:34 ...
... hat man die verborgene Zweistimmigkeit in diesem Allegro di molto aus Haydns B-Dur Sonate Nr. 41 jemals
so deutlich voneinander abgesetzt gehört, hat man Haydn überhaupt jemals so klar und sparsam und zugleich mitteilsam
erlebt, und überhaupt, ist einem die Stellung Haydns in seiner Zeit jemals so deutlich geworden wie durch die hier getroffene
Auswahl und ihrer Interpretation?
Was wissen wir über die Vorraussetzung, die zu Haydn geführt haben, und was über Voraussetzungslosigkeit, vor der er stand?
Wir reden so gern und teilen ein in Barock und Rokoko und Frühklassik, aber was wusste Haydn davon, was wusste er von
einer musikalischen Aufklärung, die da unter seiner Hand entstanden war oder gar von der Dialektik dieser Aufklärung?
Wir erhalten hier auf wundervolle Weise Antworten, sie dringen durch alle Ritzen des Angelika Nebel'schen Spiels, geben sich
als winzige Verzierungen, als diskretes sforzato, als rezitativische Wendung, als tiefrauschende Arpeggienkaskade, als
Schlusswirkung wie der Nagel an der Wand.
Es bilden sich Räume des Hinhorchens, die sich in einem Spiel durchdringen, das den älteren Formen eine
ungezwungene Würde verleiht, dem Tempo die Minuet etwa aus der Sonate 29 in F-Dur, und das den
moderneren Formen einen wahrhaft beredten Ernst verleiht, wie dem herrlichen Adagio der e-Moll-Sonate.
Trockenheit des Anschlags, die gewisse Assoziation an Clavichord und Pianoforte nicht ausschließen, und eine
Aufnahmetechnik, die diesen behutsamen Umgang mit dem Pedal wieder auffängt, runden das äußere Klangbild ab.
Vor allem aber, und wie sollte ein größeres Lob ausfallen, wir hörten, getreu, hinreichend objektiv und aufs Schönste
und Geistvollste, was in den Noten geschrieben steht.
Eine wertvolle Anschaffung.